for 3 recorders, harpsichord, violoncello
composed in1987
durationapprox. 8 min. 34 sec.
dedicated toReinhold Quandt
first performancemay 31, 1988
Musikhochschule Frankfurt a.M., Germany
Ulrike vom Hagen, soprano recorder
Julia Whybrow, alto recorder
Martin Hublow, bass recorder
Annette Müller, violoncello
publisherEDITION MEIJERINGprogram notes (german)Eine alte Mansarde, vergessen, irgendwo in der imaginären südlichen Stadt am Meer, ... die Fenster sind längst zerbrochen. Im Raum verteilt sitzen verstaubte mumifizierte Gestalten in barocken Gewändern, die Musikinstrumente in den Händen halten... Ein sanfter Windstoß geht durchs Fenster... leichter Staub wirbelt auf, die Mumien beginnen zu spielen, den Flöten entströmt die weiße Leiche des Winds: ein Ton, fast noch Windgeräusch, ein zweiter, dritter Ton, die Pausen zwischen den Klangereignissen werden kürzer; eine Traummechanik der musizierenden Gestalten kommt in Gang: ferne Ankänge an ariose und rezitativische musikalische Gestalten verwischen, kaum dass man sie hörend assoziiert - ein musikalisches Bild, eine Epiphanie im Joyceschen Sinn: the white corpse of wind, Musik für fünf Instrumente (1987) - Auftragskomposition des Moeck Verlags, Celle.
Nach meinem Stück Fünf Schatten für Solovioline (1987), das nur einer Dramaturgie verpflichtet ist, die auf der Genauigkeit des inneren Ohres beruht (Alban Berg nannte dies das Aushören einer Musik), arbeitete ich in the white corpse of wind mit dem anderen Pol meiner Strategie: einer strengen Konstruktion etwa der Proportionen des Stücks, die sowohl in der Großstruktur (Formplan) wie auch im Detail nach den Verhältnissen des Goldenen Schnitts gestaltet sind. Harmonisch basiert die Komposition auf acht verschiedenen Dreiklängen, die wegen ihrer von der kleinen Sekunde geprägten Intervallstruktur dem Ganzen einen scharfen, geräuschhaften, beinahe „gläsernen“ Grundklang verleihen. Die Takte 94 bis zum Schluss bilden einen rhythmischen Krebs der Takte 1-29 - als wäre alles nur ein Traum gewesen, verschwindet die Musik wieder in den Luftgeräuschen des Anfangs. Allerdings - und das scheint mir wesentlich - ist der Gegenpol zu dieser Konstruktivität die Imagination, und zwar die in präzise Klanggestik umgesetzte Imagination eines poetischen Bildes und die durch diese gegensätzliche Pole entstehende Spannung. Mir schwebte ein Rhythmus im Joyceschen Sinne vor, Rhythmus im Sinn der Form:
Rhythmus ist wahrscheinlich die erste oder formale Beziehung eines Teils zum anderen in einem Ganzen oder eines Ganzen zu seinem Teil oder seinen Teilen, oder jedes einzelnen Teils zum Ganzen, dessen Teil es ist... Teile konstituieren ein Ganzes, insofern sie ein gemeinsames Ziel haben.
(James A. Joyce, 25. März 1903, Paris)