CORD MEIJERING COMPOSER

"No man ever steps in the same river twice" (Heraclitus)

CORD MEIJERING
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THE VOICE OF THE WINTER
composed after a poem by James Joyce

for 3 flutes (3rd alt. picc.), 3 oboes (3rd alt. english horn), 2 clarinets, 1 picc. clar, 2 bassons, 1 contra bassoon, 4 horns, 3 trumpets, 3 trombones (1 tn basso), 1 tuba, timpani,1 harp, 3 percussionists, strings

composed in
1984

duration
approx. 15 min

dedicated to
Heiderose Schramm and Dietrich Boekle

first recording
november 28, 1986
Süddeutscher Rundfunk Stuttgart, Germany
Stuttgarter Philharmoniker
conductor: Bernhard Kontarsky

first public performance
December 12, 2012
Staatstheater Darmstadt, Germany
Staatsorchester Darmstadt
conductor: Martin Lukas Meister

publisher
EDITION MEIJERING

poem
Sleep now, O sleep now,
O you unquiet heart!
A voice crying >Sleep now<
Is heard in my heart.

The voice of the winter
Is heard at the door.
O sleep, for the winter
Is crying >Sleep no more!<

My kiss will give peace now
And quiet to your heart -
Sleep on in peace now,
O you unquiet heart!
(James Joyce, "Chamber Music")

program notes
Mein Orchesterstück THE VOICE OF THE WINTER komponierte ich 1984 an der Kölner Musikhochschule als erste Studienarbeit bei Hans Werner Henze.

Ausgehend von einem Gedicht von James Joyce entwickelte ich Rhythmen, Herzschlag-Motive sowie nach den Proportionen des Goldenen Schnitts gestaltete Atem-Gesten, die gleich zu Beginn der Komposition exponiert werden. Ich stellte mir eine Musik vor, die aus Körperbewegungen heraus erfunden ist, und die sich bewegt wie ein großes, atmendes Ungeheuer.

Die Melodik entfaltet sich aus nicht mehr als nur drei Tönen: aufsteigender Ganzton und darauf folgender fallender Halbton. Dieses Motiv komponierte ich bereits im Jahre 1979 in meiner ersten Komposition ZWEI LORCA LIEDER - EL GRITO (Der Schrei) und EL SILENCIO (Das Schweigen). Darin symbolisiert es die von Berg zu Berg gehende Ellipse eines Schreis. Auch mein Streichquartett TRAUMGESANG - NACHTMUSIK von 1983 enthält - als wäre es eine Vorstudie zum Orchesterwerk - das genannte musikalische Material.

THE VOICE OF THE WINTER fand seine Uraufführung nicht vor einem Publikum, das zu einem Konzert gekommen war. Der Dirigent Bernhard Kontarsky dirigierte stattdessen das Werk anlässlich einer erfolgten Anerkennung beim Kompositionspreis der Landeshauptstadt Stuttgart gemeinsam mit den Stuttgarter Philharmonikern für den Süddeutschen Rundfunk. Die Musik erreichte die Menschen über die Lautsprecher ihrer Rundfunkempfänger. Sie ist Heiderose Schramm und Dietrich Boekle gewidmet.

Als Martin Lucas Meister THE VOICE OF THE WINTER auf das Programm setzte, war zu dem Zeitpunkt keineswegs vorauszusehen, auf welche Weise in den darauf folgenden Monaten sich dieser Programmpunkt in die Realität der dahinlaufenden Zeit einfügen sollte:

Ich selbst hatte vor einigen Jahren mein Verhältnis zu meinen Musikverlegern aufgekündigt, da ich das klassische Verhältnis von Autor und Verleger, genauer gesagt: die Notwendigkeit einen Verleger zu haben, für anachronistisch halte. Daher musste ich THE VOICE OF THE WINTER während der letzten Monate erneut, diesmal mittels Computer ins Reine schreiben um dann das Orchestermaterial, dass ich von meinen ehemaligen Verlegern zunächst nicht zurückerhielt, produzieren zu können.

Ich schrieb das Stück ab und war dabei erfüllt von alten Erinnerungen an meine wunderbare Studienzeit bei Hans Werner Henze in Köln. Beinahe bei jedem Takt erinnerte ich mich an damalige Sehnsüchte und an den meisterlichen Beistand bei dem Versuch für eben diese eine bestmögliche musikalische Formulierung zu finden.

Im Zentrum von THE VOICE OF THE WINTER steht ein ausladendes, vielstimmig singendes Adagio. Ich erinnere, dass mich damals am Beginn dieses Teils meine hermetische Darmstädter Erziehung in tiefe Zweifel stürzte. Durfte ich wirklich die ersehnten Melodien zu Papier bringen? Durfte ich mich über die Person des hocheloquenten aber leider doch oft so selbstgefälligen Richters Theodor W. Adorno, der - entgegen allen seinen formulierten Grundsätzen - selbst der Inbegriff eines musikalischen Epigonen war, erheben und mich als Darmstädter Bürger gegen den damals strengen Codex der Internationalen Ferienkurse stellen?
Ich weiß es noch genau. Hans Henze fragte mich in dieser meiner Krise: “Was ist Dein Problem?” Ich antwortete mit einer sich selbst in Sicherheit bringen wollenden verquasteten Intellektualität: “Ich möchte so gerne eine ganz persönliche Musik schreiben, aber gleichzeitig meinen Mitmenschen nicht mit meinen Privatangelegenheiten auf die Nerven gehen.” Henze schaute mir tief in die Augen, lächelte und fragte: “Mit was willst du den Menschen denn sonst auf die Nerven gehen, wenn nicht mit Deinen Privatangelegenheiten?” Mit diesem Satz brach er das Eis, und ich schrieb aus vollem Herzen und vollen Mutes das große Streicher-Adagio, welches das Herzstück von THE VOIVE OF THE WINTER darstellt.

Von eben diesem Adagio fertigte ich kürzlich die digitale Reinschrift, die am Abend des 26. Oktobers 2012 fertiggestellt war. Am nächsten Morgen erhielt ich einen Anruf aus Dresden mit der Mitteilung, dass Hans Werner Henze soeben verstorben sei. Ich fange an, das Leben zu verstehen.

Cord Meijering